eine Berufungsgeschichte

eine Berufungs-Geschichte

Berufen in diese Welt...

«Gott führte mich sachte dahin, wo ich jetzt bin.»


Meine Berufungsgeschichte beginnt am 14. August 1978. Dann nämlich erblickte ich in Zürich das Licht der Welt. Da meine Eltern beide ursprünglich aus dem St. Galler Rheintal stammen, war unsere Familie katholisch. Dass dies etwas Besonderes in der Zwinglistadt ist, wurde mir vor allem in der Schule bewusst, wo wir Katholiken eine zusätzliche Stunde auf unserem Stundenplan hatten: Katholischer Unterricht. Aber ansonsten wurde der Glaube in unserer Familie nicht besonders praktiziert. Ab und zu gingen wir am Sonntag in die Kirche. Je älter ich wurde, desto seltener wurden aber diese Kirchenbesuche und als der Katholische Unterricht auch noch wegfiel, weil wir für eine gewisse Zeit keine Priester in unserer Pfarrei hatten, war für mich die Sache mit dem Glauben erledigt.

Berufen zur Christin


Doch Gott hatte seine Pläne mit mir und liess nicht so schnell locker. Im Frühling 1995 bekam unsere Pfarrei zwei neue Priester und einen Diakon. Eine Einladung zur Vorbereitung auf die Firmung flatterte ins Haus. Da die Familie meines Freundes traditionell katholisch war, meldete ich mich ihm zu liebe für diese Firmvorbereitungen an. Kaum waren die ersten Treffen dafür vorbei, beendete mein Freund unsere Beziehung und meine liebe Grossmutter erkrankte schwer. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füssen zu verlieren. „Wenn es dich gibt, Gott, dann musst du dich mir zeigen“, so sprach ich in meiner Verzweiflung und Gott erhörte dieses, mein erstes wirkliches Gebet. Zur Firmvorbereitung besuchten wir ein Kloster in Deutschland. Eine ältere Schwester erzählte uns, wie sie ins Kloster kam - völlig unspektakulär und trotzdem faszinierte mich diese Frau. Eine Woche später unternahmen wir nochmals eine Reise, diesmal in die Nähe von Turin. Diese Pfarrei, die uns so herzlich aufnahm, die Jugendlichen, die mit uns die Zeit verbrachten, und schliesslich ein Video über das Turiner Grabtuch begeisterten mich sehr. Ich kam von dieser Reise zurück und wusste, ich will für Gott leben. Vorerst begann ich einfach einmal damit, dass ich jeden Sonntag zur Messe ging und an den Jugendanlässen der Pfarrei teilnahm. Durch die Jugendgruppe der Pfarrei lernte ich die Fokolarbewegung kennen und nach einiger Zeit entschied ich, mich den Jugendlichen der Fokolarbewegung anzuschliessen. Es folgte ein sehr intensives Leben mit Gott. Er war überall in meinem Alltag zu finden und ich bemühte mich, das Wort Gottes ganz konkret in die Tat umzusetzen.

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Mit den Jugendlichen der Fokolarbewegung


Berufen zum geweihten Leben


Auf einer Jugendreise mit der Pfarrei im Jahr 1997, die uns nach Paris führte, wurde mir klar, dass Gott mich zu einem geweihten Leben ruft. Es war an dem Tag, als wir die Basilika Sacre Coeur besichtigten. Da dort eine Gemeinschaft ewige Anbetung hält, schlugen wir den Teilnehmenden vor, bevor sie die Kirche besichtigten, einfach etwa eine Viertelstunde vor dem Allerheiligsten zu verweilen. Auch ich setzte mich hin, um zu beten.

Plötzlich war es mir, wie wenn Christus mich riefe, mein Leben ganz ihm zu schenken. Ich fühlte mich sehr glücklich, hatte aber keine Ahnung, wie ich das konkret tun sollte. So versuchte ich einfach weiterhin, in meinem Alltag Gott und seinen Willen für den jeweiligen Augenblick zu finden. Ich beendete meine Lehre, ging nach Brasilien, um mit Strassenkindern zu arbeiten, und begann die Matura nachzuholen. Immer wieder fragte ich Gott, wie ich ihm mein Leben ganz schenken könne. Im Sommer 2001 konnte ich nicht mehr länger warten. Ich wollte einen Schritt tun. Das Nächstliegende war, mich dem inneren Kern der Fokolaren anzuschliessen. Wenn Gott mich schon die Fokolarbewegung kennen lernen liess, dann sei vielleicht mein Platz dort, so meine Idee. Doch schon kurz, nachdem ich mich auf diesen Weg gemacht hatte, merkte ich, dass ich da nicht weitergehen konnte.

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Basilika Sacre Coeur

 

"... Gott hatte seine Pläne mit mir
und liess nicht so schnell locker..."

 

Ich beendete die Matura und begann ein Mathematikstudium. Dieser Wechsel warf erneut meine Frage auf, was ich aus meinem Leben machen wolle. Ich hatte durch die Studentenseelsorge die Jesuiten kennengelernt und das Ordensleben faszinierte mich. So plante ich, meine nächsten Ferien in einem Kloster zu verbringen. Eine Bekannte erzählte mir von den Dominikanerinnen von Cazis und so nahm ich mir vor, dort mal anzufragen, ob ich für meine Ferien noch ein Zimmer bekommen würde. Aber noch bevor es so weit kam, änderte ich meine Meinung doch wieder. Anderes beschäftigte mich in dieser Zeit sehr und ich wollte nicht ins Kloster, um davor zu fliehen. Ich musste einfach mal ausspannen und einen klaren Kopf bekommen. Schliesslich ergab sich die Gelegenheit, die Ferien bei einer Freundin und ihrer Familie in St. Gallen zu verbringen. Als sie mich am Bahnhof abholte, teilte sie mir mit, dass ihre Familie im Moment in der ehemaligen Spiritualwohnung eines Klosters wohne und fragte mich, ob mir das etwas ausmache. Mir blieb beinahe die Sprache weg. Wenn das kein klares Zeichen war! Am letzten Tag der Ferien nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und bat die Oberin der Gemeinschaft um ein Gespräch. Daraufhin lud mich diese zum Kaffee mit den Schwestern ein und schlussendlich verbrachte ich meinen ganzen letzten Ferientag mit den Schwestern. Es gefiel mir sehr gut und ich wollte nun auf dieser Fährte weitergehen.

Berufen zur Dominikanerin


Mir war nicht so recht klar, was ich als nächstes tun sollte. Den Mut, einfach alles stehen zu lassen und dort, bei dieser Gemeinschaft in St. Gallen einzutreten, hatte ich irgendwie nicht und doch öffnete mir diese Begegnung neue Perspektiven. Ein Jesuit brachte mich auf die Idee, dass ich, um mich frei entscheiden zu können, zwei Möglichkeiten, die gleichwertig sind, haben sollte. Darum begann ich, mich nach anderen Ordensgemeinschaften umzusehen. Aber es gab deren so viele und wo beginnen? Ich besorgte mir verschiedene Ordensregeln und Biographien von Ordensgründern, unter anderem eine Biographie des hl. Dominikus. Diese berührte mich sehr, vor allem, wie Dominikus das Wort Gottes verkündete, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch dadurch, dass er es zu leben versuchte. Das war ja gerade das, was ich auch schon seit Jahren übte. Ich wollte mir also eine dominikanische Gemeinschaft näher anschauen.

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Büste des hl. Dominikus


Berufen nach Cazis


Als erstes kamen mir die Dominikanerinnen von Cazis in den Sinn. Ich wollte ja ursprünglich dort meine Ferien verbringen und kannte den Ort von einem Ausflug mit den Jugendlichen der Pfarrei ein wenig. Bei einer ersten Begegnung mit der Noviziatsleiterin erzählte sie mir von der Berufung, die die Gemeinschaft vor einiger Zeit für sich entdeckt hatte: „Ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils“. Dieses Wort liess mich nicht mehr los. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es etwas mit mir zu tun hat. So blieb ich in Kontakt mit der Gemeinschaft, verbrachte eine Woche im Gästehaus und lebte später einen Monat mit den Schwestern in der Klausur mit. Dieser Monat war sehr entscheidend für meine Suche. Von Anfang an fühlte ich mich wie zu Hause, als ob ich schon immer da gewesen wäre. Trotzdem war es noch nicht die Zeit, mich endgültig zu entscheiden. Inzwischen stand nämlich in meinem Leben einiges auf dem Kopf, das ich zuerst wieder ordnen wollte, damit ich wirklich in Freiheit eine Entscheidung treffen konnte. Es bot sich die Gelegenheit, in einem Bildungshaus der Jesuiten in Fribourg zu arbeiten und zu leben. So hatte ich Zeit für mich und trotzdem materielle Sicherheit. Von Zeit zu Zeit verbrachte ich einige Tage in Cazis und bei einem dieser Aufenthalte lud mich die Priorin spontan für die Gemeinschaftsexerzitien ein. Diese fanden in jenem Jahr 2007 zum 800-jährigen Jubiläum der Gründung des ersten Dominikanerinnenklosters in Südfrankreich statt, eben an dem Ort, wo dieses erste Kloster gegründet wurde. So verbrachte ich also im Herbst eine Woche in jener Gegend, in der Dominikus mehrere Jahre gelebt und gewirkt hat. Es faszinierte mich, diese Orte kennenzulernen, die in den Legenden und Lebensbeschreibungen des hl. Dominikus vorkommen. Und nicht nur das. Immer wieder ergaben sich kleine „Zufälle“, die mir zeigten, wie mein Leben mit dem des hl. Dominikus verwoben ist. Gegen Ende der Woche merkte ich, dass diese eine Einladung des hl. Dominikus an mich waren, in seinen Spuren Christus nachzufolgen. Und es war wirklich eine Einladung, denn ich fühlte mich unendlich frei, Ja dazu zu sagen oder auch einen ganz anderen Weg zu gehen. Schlussendlich entschied ich mich, diese Einladung anzunehmen. Noch auf der Rückreise, irgendwo auf einer Raststätte mitten in Frankreich bat ich die Priorin um Aufnahme in die Gemeinschaft. Am 7. August 2008, während der ersten Vesper zum Fest des heiligen Dominikus war es dann so weit: ich durfte mein Postulat beginnen, nach etwas mehr als 1 ½ Jahren, am 25. März 2010, wurde ich eingekleidet und am 12. Februar 2012 legte ich meine Zeitlichen Gelübde ab.

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Vor dem Haus des hl. Dominikus, Südnfrankreich


Wenn ich meine Berufungsgeschichte hier so aufschreibe, merke ich wieder einmal mehr, welche Umwege ich gegangen bin. Im Rückblick frage ich mich manchmal, warum ich nicht gleich das finden konnte, was mich jetzt so erfüllt, warum ich überall nach meinem Platz suchte und ich das, was zutiefst in meinem Herzen verborgen war, lange nicht erkennen und verwirklichen konnte. Ich denke, es war mir aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Aber das ist ja eben das Grossartige an Gott. Er führte mich sachte dahin, wo ich jetzt bin, ging alle Umwege mit, und offenbarte mir meine Berufung Schritt für Schritt, eben so, wie ich mitgehen konnte. So kann ich wirklich sagen, dass Gott in meiner Berufungsgeschichte auf krummen Linien gerade geschrieben hat.

Sr. M. Manuela Gächter, Dominikanerinnenkloster Cazis